20 Jahre. Die Wissenschafts-Olympiade feiert bereits ihr zwanzigstes Jubiläum. Vielleicht waren einige, die diesen Artikel lesen, noch nicht einmal geboren, als 2004 alles begann. Ich übrigens auch nicht. Und doch, viele Jahre später sind wir hier, jetzt. Wie kann es sein, dass bereits zwei Jahrzehnte vergangen sind? Wir wissen, dass sich seit den Anfängen dieser Reise vieles verändert hat und doch haben wir die vergehende Zeit kaum wahrgenommen.
Über den Autor: Mathys Douma ist Alumnus und Freiwilliger der Mathematik- und Philosophie-Olympiaden. Nächstes Jahr wird Mathys seinen Bachelor in Mathematik an der EPFL abschliessen.
Natürlich beschränkt sich dieses Phänomen nicht auf die Entwicklung unseres lieben Verbands! In all unseren Erfahrungen scheinen wir ständig von den Minuten überholt zu werden, die zu schnell vergehen, den Tagen, die aufeinander folgen, den Jahren, die dahinziehen.
Unser Verhältnis zur Zeit ist daher frustrierend. Als ob wir uns des Zeitverlaufs nur stossweise bewusst würden, als wäre er immer schneller, immer zu schnell. Wir sind die halb schlafenden Passagiere, verurteilt, erst zu realisieren, dass der Zug fährt, wenn er schon den Bahnhof erreicht hat. Die Landschaft wandlt sich ständig, und obwohl wir Zeugen davon sind, sind wir uns dieses Wandels nicht bewusst. Wir sind in gewisser Weise veränderungsblind.
Ausgehend von dieser Erkenntnis können wir uns die folgende Frage stellen: Wie zeigt sich diese Veränderungsblindheit, und was bedeutet sie philosophisch gesehen für unser Leben und unsere Identität?
Eine besondere Blindheit für Veränderungen
Im Kontext der Wahrnehmung bezeichnet der Begriff der Veränderungsblindheit die Tatsache, dass wir als Menschen manchmal nicht in der Lage sind, Veränderungen in den visuellen (und erweiterten sensorischen) Reizen unserer Umgebung zu bemerken, was auf einen Mangel an Aufmerksamkeit und die Fehlbarkeit unserer Wahrnehmungssysteme hinweist. Unser Bewusststein für Zeit ist fehlbar, unvollständig und begrenzt.
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Eine visuelle Darstellung des Prinzips der Veränderungsblindheit (der relevante Ausschnitt dauert etwa eine Minute).
Wie uns Augustinus in seinen „Bekenntnissen“ sagt: „Die Gegenwart vergangener Dinge ist die Erinnerung; die Gegenwart gegenwärtiger Dinge ist die Aufmerksamkeit; die Gegenwart zukünftiger Dinge ist die Erwartung.“ Anhand dieses Zitats können wir Folgendes feststellen:
- Wenn wir ein fernes Ereignis erwarten, neigen wir dazu, es von unserer gegenwärtigen Erfahrung zu entkoppeln. Das passiert zum Beispiel, wenn wir auf den Urlaub warten oder darauf, unser Berufsleben zu beginnen.
- Dann kommt das Ereignis immer näher und näher, wie wenn wir realisieren, dass der Sommer schon fast da ist. Es gibt eine Gegenwart, die auch Ereignisse enthält, die bereits stattgefunden haben oder noch nicht stattgefunden haben, denen wir aber uns zeitlich nah fühlen. Auch wenn es bereits Mai ist, kann es sein, dass man sich noch fühlt, als wäre es Anfang Jahr.
- Schliesslich erreichen die Ereignisse die Vergangenheit, mit der wir durch die Erinnerung verbunden sind. Auch hier gibt es eine Trennung vom gegenwärtigen Moment und wir sehen sie als eine abgeschlossene Epoche, „die gute alte Zeit“. Dann vergleichen wir diese vergangenen Ereignisse mit der Gegenwart, um unsere Überraschung auszudrücken, wie wenn wir sagen, dass jemand „alt geworden“ ist.
Was ich hier betonen möchte, ist, dass wir Ereignssen in den drei genannten Fällen in der Regel einen statischen, punktuellen Status zuweisen. Indem wir den kontinuierlichen Fluss der Zeit zerstückeln und in getrennte, aufeinander folgende Erfahrungen unterteilen, verlieren wir den Sinn für die Bewegung, die ohne Zweifel zur Zeit gehört: Wenn sich nichts bewegt, wie könnte dann etwas geschehen?
Diese Erkenntnisse verdeutlichen auch die Unangemessenheit universeller Zeitrahmen für unsere individuellen Erfahrungen. Sogar die Physik sagt uns, dass die Zeit nur scheinbar linear ist und eine weitaus komplexere Natur birgt. Wie wirkt sich dies auf die persönliche Identität und unser Bewusstsein von unserem Selbst aus?
Unterwegs zur Identität
Wir verstehen, wer wir sind, indem wir verstehen, wie wir uns entwickelt haben. Daher muss die persönliche Identität zwangsläufig eine zeitliche Komponente enthalten. Um uns unserer selbst wirklich bewusst zu sein, können wir uns nicht nur auf ein statisches, gegenwärtiges Ich beschränken: Wie der Philosoph John Locke in seinem „An Essay Concerning Human Understanding“ (1694, Buch II, Kapitel 27) argumentiert, wird die Identität im Wesentlichen durch die Kontinuität des bewussten Gedächtnisses bestimmt.
Daher ist die Kontinuität aus dem Verständnis von persönliche Identität nicht wegzudenken. Es ist hier wichtig zu betonen, dass Kontinuität den Wandel nicht ausschliesst: Unsere Identität zeichnet sich durch eine Form von Einheit aus, aber diese Einheit ist ständig in Bewegung. Um die Worte des Philosophen David Hume aufzugreifen: „(...)es gibt keine Kraft der Seele, die sich, sei es auch nur für einen Augenblick, unverändert gleich bliebe.“ Die Identität muss zwangsläufig im Laufe der Zeit aufgebaut werden. Wir können uns nicht als Punkte im Raum betrachten, wenn wir Bahnen sind.
Natürlich ist diese Aufgabe kompliziert, da wir jeden Tag mit uns selbst leben. Unsere Wahrnehmung von uns selbst ist im gegenwärtigen Moment verankert: Tatsächlich neigen wir, wie bereits erwähnt, dazu, gegenüber Veränderungen blind zu sein und unsere Umgebung als eine Abfolge statischer Ereignisse wahrzunehmen. Und daher, da wir den Wandel nicht wahrnehmen, fällt es uns schwer, uns unserer Entwicklung und der Art und Weise, wie wir uns verändern, bewusst zu werden. Denn wir haben nur durch Erinnerungen, die vom gegenwärtigen Ich getrennt sind, Zugang zur Vergangenheit.
Wenn es uns gelingt, die Idee der Kontinuität zu erfassen und uns ihrer bewusst zu werden, werden wir in der Lage sein, eine genauere Sicht auf die Identität zu formen.
Unser Verhältnis zu anderen
Unsere Überlegungen zur Identität sind umso relevanter im Rahmen unserer sozialen Beziehungen. Ständig in sozialen Umgebungen eingebettet, beeinflussen wir andere und werden von anderen beeinflusst. Jemanden als Ganzes zu sehen bedeutet daher auch, ihn in der Komplexität und Bewegung der Zeit zu berücksichtigen. Wie der Dichter Jean-Pierre Siméon treffend zusammenfasst, muss man „die Illusion der stabilen Identität bestreiten, die die Tiefe verdeckt, die jeder von uns ist, die Unzählbarkeit, die jeder von uns ist, die Plastizität des Lebendigen, die ihm glücklicherweise die Chance zur Metamorphose bietet.“
Davon lebt auch unser Verband: Die Wolken, die sich bilden und sich auflösen (um die Metapher von Aline Rihm in ihrem Essay „Ein Blick über die Wolken“, verfasst im Halbfinale der Philosophie-Olympiade 2022 aufzugreifen; der Essay ist am Ende des Artikels verfügbar), die Begegnungen, die Züge, in denen wir zusammen reisen, die sich kreuzenden Wege, die sich verbindenden Leben. Die im Laufe der Jahre geschlossenen Kreise, die weitergegebenen Fackeln, die geteilten Erfolge, die verlorenen und wiedergefundenen Erinnerungen.
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